100 Jahre Schmerztherapie im Radonstollen
Seit über 100 Jahren wird das radioaktive Gas Radon im Bad Kreuznacher Radonstollen für therapeutische Zwecke genutzt. Die Ursprünge dieser in Deutschland einzigartigen Therapieform führen zurück in jene Jahre um 1900 als eine Generation von Wissenschaftlern sich der Erforschung eines neuen Naturphänomens widmete: der Radioaktivität.
Pioniere in der Radon-Forschung
1896 entdeckte das Ehepaar Marie und Pierre Curie in engem Zusammenhang mit den Forschungen Henri Becquerels einerseits, dass Uran spontan eine Strahlung freisetzte, die wir heute Radioaktivität nennen. Andererseits wiesen sie nach, dass es nicht das Uran selbst, sondern ein von Marie Curie neu entdecktes Element war, von dem die Strahlung ausging: das Radium. Bald entdeckte man, dass bei dem Zerfall der Radium-Atome Gase entstanden – sogenannte Radium-Emanationen – die ihrerseits weiter zerfallen, und dabei wiederum eine radioaktive Strahlung erzeugen. In Bad Kreuznach war es der Forschungseifer des Chemikers Dr. Karl Aschoff, der diese Entdeckung aufnahm und weiterführte, indem er die medizinische Wirkung dieses Elements erforschte. Als Pionier auf diesem Gebiet wies Aschoff 1904 nach, dass auch in den Kreuznacher Mineralquellen Bestandteile enthalten sind, die Radioaktivität frei setzen und schrieb so in dem Heilbad ein Stück Medizingeschichte Man meinte den Schlüssel für die bereits lange bekannte, positive Gesundheitswirkung der Quellen gefunden zu haben.
Dr. Karl Aschoff,
Pionier auf dem
Gebiet der Radon-
Forschung für
medizinsche
Zwecke
Radioaktivität
der Kreuznacher
Solquellen von
Dr. Karl Aschoff,
1905
Heute weiß man, dass die bei dem Zerfall des Radons auftretende Alphastrahlung – niedrig dosiert und zeitlich begrenzt angewendet – tatsächlich einen therapeutischen Effekt hat, sie wirkt schmerzlindernd und entzündungshemmend auf den Organismus.
Radon-Emanation in Bad Kreuznach
Im Jahr 1911 untersuchte Aschoff dann die Luft eines stillgelegten Stollensystems, das in den Rhyolithfelsen des Kauzenbergs getrieben war. In dem ursprünglich zur Quecksilbergewinnung angelegten Stollen wies er in der Raumluft einen relativ hohen Gehalt der damals sogenannten Radium-Emanation nach. Wie Aschoff richtig folgerte, trat das Gas aus dem Gestein, das Radium enthält, aus. Diese radonhaltige Luft nutzte Aschoff umgehend für Therapien: Schon im Frühjahr 1912 wurde am Naheufer vor dem Stolleneingang ein Pavillon, das erste Radium-Inhalatorium, errichtet. Von da an sprach man vom Kreuznacher Verfahren: der Kombination der Radon-Inhalation mit dem Einsatz von Solebädern.
Tradition als Radon & Sole-Heilbad
Die Radiumhöhle:
Der Eingang zum Bad Kreuznacher
Radonstollen, ca. 1912
Radium-Solbad-Bad-Kreuznach-RheinlandDer Beginn der Bad Kreuznacher Badekur datiert bereits in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts als der Arzt Dr. Johann Erhard Peter Prieger das Quellwasser des Salinentals für medizinische Zwecke eingesetzt. Der Ruf als Sole-Heilbad etablierte sich in den Jahren zwischen 1820 und 1843 und in den darauffolgenden Jahrzehnten wurde Kreuznach zum internationalen bekannten Heilbad. Radium-Emanation-InhalatorNach der Entdeckung des Radons ernannte sich Bad Kreuznach zum Radium-Solbad und erlebte vor dem ersten Weltkrieg einen riesigen internationalen Gästeansturm, für den sogar ein neues Kurhaus als Grandhotel und ein neues Bäderhaus für die Kuren gebaut werden musste. Bis 1945 empfing das Radon-Inhalatorium seine Gäste, dann wurde es in der Schlussphase des Weltkrieges zerstört. In den 50er und 60er Jahren nutzte die Kreuznacher Kur das Radon, indem der natürliche Radongehalt der Quellwässer angereichert und dann mit entsprechenden Apparaturen inhaliert wurde.
Radontherapie im Berg
Radon-Inhalation im 1974
neu gebauten Therapiestollen
in Bad Kreuznach
1974 brach eine neue Ära für die Nutzung des Radonstollens an. Die Stadt ließ einen Therapiestollen in den Berg hinein treiben. Seitdem finden die Therapiesitzungen im Stollen statt und bis heute inhalieren die Patienten bequem auf Liegen in acht bis zwölf Sitzungen, meist verteilt über zwei bis drei Wochen, für jeweils eine Stunde das geruch- und geschmacklose Radongas. Die Geschichte der Therapie verbindet sich in dieser Zeit untrennbar mit dem Namen des Kreuznacher Badearztes und Sanitätsrat Dr. Hans Jöckel, der die Radontherapie als junger Arzt wiederbeleben half und schließlich von 1998 bis 2013 persönlich die verantwortliche ärztliche Leitung des neuen Stollens übernahm. In Anerkennung seiner Verdienste hat die Stadt Anfang 2014 den Stollen als „Sanitätsrat Dr. Jöckel-Stollen“ benannt.
Heute liegt die medizinische Leitung beim Bad Kreuznacher Nuklearmediziner Dr. Andreas Zöller, während der Betrieb unter dem Namen ACURADON von dem neuen Pächter AccuMeda Holding GmbH gemanagt wird, der eng mit dem Crucenia Gesundheitszentrum, dem Träger der Ambulanten Kur im Heilbad, zusammenarbeitet, um diese einzigartige Therapieform der Radoninhalation, auch in Kombination mit anderen traditionellen Kurmitteln, in Deutschland zu erhalten und auszubauen.